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Dami Charf > Würdest du töten – weil es dir jemand sagt?

Würdest du töten – weil es dir jemand sagt?

05.09.2018 | 2 Kommentare

Wie weit geht soziale Anpassung und wie angepasst bist du?

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Ich weiß: deine Antwort ist Nein

Meine Antwort ist natürlich auch Nein – aber wie kannst du oder ich uns so sicher sein?

Vor kurzem habe ich ein soziales Experiment bei Netflix gesehen. Es hat mich ziemlich erschüttert zuzusehen, wie ein ganz normaler freundlicher Mensch innerhalb eines Abends dazu gebracht wird, so ziemlich alle seine ethischen Vorstellungen über Bord zu werfen und am Ende des Abends ernsthaft zu überlegen, ob er jemanden vom Dach stößt…

Das Experiment wurde von Derren Brown durchgeführt. Es geht dabei darum, ob es möglich ist jemanden durch sozialen Druck dazu zu bekommen über alle ethischen Grenzen zu gehen und tatsächlich zu töten.

Das Bedrückende ist, dass die TeilnehmerInnen durch so ein harmloses Experiment wie dieses ausgesucht wurden. Übrigens gibt es dieses Experiment in verschiedensten Formen und leider machen 90% der Menschen mit…

Die sozialen Verhaltensfallen

Beim später stattfindenden tatsächlichem Experiment nutzt der Versuchsleiter eine menschliche Eigenschaft, die wir alle schon selbst in Aktion erlebt haben. Das sind Mikro-Commitments, Konsistenz und die „Investitionsfalle“.

  • Mikro-Commitments sind kleine Ja-Schritte, die wir machen und nach denen es uns sehr schwer fällt plötzlich „Nein“ zu sagen.
  • Konsistenz: wir alle brauchen ein Gefühl von Konsistenz, das bedeutet eigentlich nichts anderes als dass wir uns selbst „treu“ bleiben, auch wenn wir wissen, dass das kein gutes Ende nimmt…
  • Die Investitionsfalle: haben wir viel Energie/Geld/Arbeit/Liebe in ein Projekt, eine Beziehung, eine Arbeit etc. Investiert, fällt es uns sehr schwer, dieses zu beenden. Wir haben dann das Gefühl, dass all unsere investierte Energie verloren geht und wir einen schweren Verlust machen. Deswegen gehen Menschen oft weiter und investieren noch mehr, statt aufzuhören und mit etwas abzuschließen.

Im Experiment werden die Versuchspersonen ständig aufgefordert etwas für die empfundene Autoritätsperson – in diesem Fall der Leiter einer Benefizveranstaltung –  zu tun oder Mithilfe zu leisten für Dinge, die ihr eigentlich widerstreben.

Über die Zeit fühlt sich die Versuchsperson immer verstrickter. Sie hat zu oft Ja gesagt und muss quasi über weitere „Ja´s“ ihr eigenes vergangenes Verhalten rechtfertigen (Mikro-Commitments und Investition).

Ein JA führt zum nächsten JA

Die Versuchsperson hat irgendwann das Gefühl weiter mitmachen zu müssen, da sie schon so oft „Ja“ gesagt hat und den Weg mitgegangen ist, von dem sie wusste, dass er nicht richtig ist.

Wir alle neigen dazu Wege weiter zu gehen und Dinge weiter zu machen, in die wir viel Energie investiert haben. Würden wir aufgeben oder Nein sagen, wenn wir schon viel investiert haben, empfinden wir dies als Verlust aller eingebrachten Investitionen.

Durch dieses Verhalten sind schon große Firmen in den Ruin geführt worden.

Man kann nicht mehr zurück, weil man es schon zu lange so gemacht hat…

Kommt dazu noch sozialer Druck und die Angst ausgestoßen zu werden oder Erwartungen nicht zu erfüllen neigen die meisten von uns dazu sich anzupassen. Auch wenn der Preis sehr hoch ist.

Über diese sehr menschlichen Eigenschaften war es dem Versuchsleiter Derren Brown möglich 3 von 4 Versuchspersonen dazu zu bringen einen Mann vom Dach – in den scheinbaren Tod – zu stoßen.

Ich habe keine Ahnung, wie die Versuchspersonen, die praktisch jemanden getötet haben, damit weiter leben können. Deswegen finde ich das Experiment hoch unethisch, weil es potentiell traumatisierend für die Versuchspersonen ist.

Wer das Experiment schauen möchte: Derren Brown „The Push“ auf Netflix

Diese Experimente haben Tradition – das Ergebnis leider auch

Diese Art von Experimenten sind seit dem zweiten Weltkrieg immer wieder durchgeführt worden, das bekannteste ist sicher das Milgram Experiment, in dem Menschen durch eine Autoritätsperson dazu gebracht werden anderen Menschen Stromstöße zu geben. Bis zum scheinbaren Tod des anderen Menschen!

Gehorsam kann tödlich sein! Das Milgram Experiment

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Wenn man es sehr zynisch betrachten möchte, war die Hitlerzeit ein großes soziales Experiment über Mitläufertum und hat uns allen gezeigt, wie wenige Menschen gegen die Norm aufstehen und wie leicht es ist, eine unmenschliche Moral sozial zu implementieren. Eine Moral in der es gerechtfertigt ist andere Menschen zu verletzen oder gar zu töten und dafür sozial nicht geahndet wird.

Letztlich müssen wir dafür leider nicht 80-iger Jahre zurück gehen. Wir sehen auch heute die Auswirkungen von Mitläufertum und sozialer Anpassung an Gruppen. Wir können außerdem beobachten, wie soziale und ethische (nicht moralische) Werte ausgehebelt und verändert werden.

Kleine Veränderungen an die wir uns anpassen, weil das eben so ist.

Auch ich bekenne mich schuldig. Auch wenn ich mir gerne einrede, dass ich bei dem Experiment „The Push“ ausgestiegen wäre. Doch diese Beruhigung geben wir uns wohl alle.

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2 Kommentare

  1. Liebe Dami

    Danke für das Video. Aber ich hätte unbesehen mit ja geantwortet. Weil es in unserer Gesellschaft unzählige Beispiele dafür gibt, zu was Menschen alles fähig sind. Auch im kleinen. Kennen wir das nicht alle? So kleine Sachen, die wir eigentlich nicht machen möchten und es trotzdem tun. und zu sich und unserem handeln zu stehen fällt uns sehr schwer, wir wollen nicht ausserhalb stehen und „mitspielen“

    Und zu viele Menschen schauen immer noch nicht hin und übernehmen Verantwortung. Im großen wie im kleinen. Ich habe eine Fortbildung besucht über Kinderswohl und die Moderatoren sagten das sie die Fortbildung oft mit voll bekämen. Ich staunte. Dann kam von der Therapeutin die Antwort, wer Wissen hat muss auch handeln, also lieber nicht so viel und genau etwas wissen. Ich fand das so heftig.

    Kennst du den Jugendroman Erabos, da geht es um ein Computerspiel wo am Ende auch jemand getötet werden soll. Auch auf ganz ähnlicher Weise wie du es erklärt hast.

    Liebe Grüße J

    Antworten
  2. Hallo Dami,
    Danke für deinen Blogbeitrag, den ich sehr spannend finde. Auch ich bin eine Person die ethische Werte hat, aber auch ich und ich glaube viele Menschen, wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, würden am Ende vermutlich so handeln. Ich möchte nicht missverstanden werden, was ich keineswegs gut finde und toleriere. Damals als du den Beitrag verfasst hast, gab es noch kein Corona. Aber wir sehen, auch hier deutlich Überschneidungen zu dem Experiment.
    Werde mir das Experiment bei Gelegenheit anschauen.

    Antworten

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